Verfehlte Taktik

Novellette von Ralph v. Rawitz
in: „Klagenfurter Zeitung” vom 05.09.1902


Im Casino der Edelberger Uhlanen wurde ein Sommerfest gefeiert: die Räume waren glänzend erleuchtet, aus dem großen Saale erschollen fröhliche Stimmen und Walzerklänge, lange Ketten von farbigen Lampions durchzogen den Garten und die Fontäne vor der Terrasse glänzte in bengalischem Lichte. Nur ganz hinten, wo sich der hübsche kleine Casinopark zum Flüsschen Resenitz herabzog, herrschte tiefe Dunkelheit, in der nur momentweise, wie Irrlichter, die Cigarren zweier Officiere aufleuchteten, welche auf der „ Wasserbank” Platz genommen hatten.

„Na, nun reden Sie endlich 'mal einen Ton, Schwante!” sagte der eine. „Diese Wortkargheit wirkt auf die Dauer deprimierend. Ich weiß ja, dass Sie direct auf die große Bude am Königsplatz in Berlin hinarbetten, aber im Punkte mangelnder Redseligkeit brauchen Sie sich wahrhaftig Moltke nicht zum Vorbilde zu nehmen!”

„Was soll ich Ihnen denn sagen, Arenstein? Ich weiß nichts!”

„Keine Ausflüchte, mein Lieber! Glauben Sie denn, ich wüsste nicht, woher diese Stimmung herrührt? Nachdem Sie mich einmal zum Mitwisser Ihrer Herzensangelegenheit gemacht haben, wäre es eigentlich nicht unangebracht, wenn Sie mich auch auf dem Laufenden erhielten. Also sans façon: Wie steht es, Schwante?”

„ Sie haben leicht fragen, Arenstein! Miserabel steht es, ganz gottsjämmerlich schlecht! Und wenn ich noch hätte im Zweifel sein können, ob sie sich aus mir. etwas macht, oder nicht, heute sind mir die Augen geöffnet. Sie ist nichts als eine herzlose Kokette!”

„Wie das gleich siedet und glüht! — Nein, Schwante, Sie übertreiben und thun dem Mädel grimmig Unrecht. Sie ist nur so, wie alle Evastöchter, und, wenn ich's genau bedenke, sind Sie allein schuld!”

„Ich schuld! Na, da schlage das Wetter — —!” Und in einem großen Bogen sauste die Cigarre in die Resenitz. „Und darf man auch fragen, wieso?”

„Sehr einfach. Sie wissen die kleine Calmar nicht zu nehmen. Ja, Mann — nicht zu nehmen! Sie sind ein tüchtiger Cavallerist und noch ein Stück mehr, aber in Weibersachen, mein theuerster Schwante, da sind Sie ein ganzer Recrut. Haben noch keinen Schimmer von Taktik, Strategie überhaupt nicht zu erwähnen.”

Schwante blies den Rauch seiner Cigarre heftig von sich und machte „Pah”!

„Machen Sie nicht „Pah”, mein lieber Schwante, es ist wie ich sagte, auch im Verkehre mit dem anderen Geschlechte gibt es eine Taktik und eine Strategie. Taktik bei den Damen, das ist, wie man sie jedesmal behandelt, wenn man mit ihnen zusammen ist; Strategie aber bedeutet das Schaffen günstiger Gelegenheiten zur Entfaltung der Taktik.”

Schwante lächelte. „Nun übersetzen Sie mir 'mal diesen schönen Vortrag ins Praktische, Arenstein! Was soll iÄ thun?”

„Höchst einfach! Zunächst einmal die ganze Situation auf einen anderen Boden spielen. Die Umgebung thut viel und neue Verhältnisse schärfen die Eindrucksfähigkeil. Hier, in Edelberg, zwischen Reitbahn und Casino erscheinen Sie der kleinen Lilli als ein Durchschnittsmensch, unter veränderten environs werden Sie erst in die richtige Beleuchtung treten. In einem Badeorte z. B. müssen Sie vortheilhaft von der Suite abstechen!”

„Oder unvortheilhaft, Arenstein!”

„Nein — nein vortheilhaft — ich weiß, was ich weiß. Um also deutlich zu reden: Calmars gehen in diesen Tagen ins Bad, ich glaube Swinemünde oder Misdroy, oder da so herum. Schnüren Sie Ihr Bündel, Schwante, und fahren Sie schleunigst auch hin.”

„ Gut! Angenommen, ich thäte es, — was dann?”

„Dann stürzen Sie sich kräftig in den gesellschaftlichen Strudel: LawnTennis, Radeln, Vortänzer bei den Reunions, Arrangeur von Segelpartien u. s. w.! Und niemals ohne Damen. An die hübscheste und eleganteste Frau des Bades pürschen Sie sich heran und schneiden eifrigst die Cour — Bouquets, Cotillon u. s. w.! Das alles aber vor Lillis sehenden Augen! Das alles, während Sie Lilli mit kühler Höflichkeit behandeln! Dann — werden Sie Wunder erleben, Schwante: Eines Tages sinkt sie Ihnen an die Brust und ist weich, wie Honig! Glauben Sie mir, ich kenne die Frauen — eine ist wie die andere!”

Herr v. Schwante schwieg nachdenklich. Hatte Arenstein Unrecht? War er nicht wirklich zu gutmüthig gewesen gegen diesen kleinen Unband, dem tausend Sprühteufelchen lustiger Laune aus den Augen blitzten? Und wer leistete denn Gewähr, dass sie sich wirklich etwas aus ihm machte und ihn nicht bloß neckte? Ja, er musste der Sache auf den Grund gehen, und Arensteins Vorschlag war noch nicht das Schlechteste.

„Gut,” sagte er nach einer längeren Pause, „ich acceptiere Ihren Kriegsplan — aber unter einer Bedinqung: dass Sie mitkommen! Sie haben ja auch Urlaub?!”

„Und damit wir sofort wissen, welche Direction einzuschlagen ist — da hinten an der Kegelbahn steht der alte Calmar — wir wollen ihm auf den Zahn fühlen!”

Scheinbar ganz absichtslos schlenderten die Lieutenants bei dem Geheimrath vorbei.

„Nun, Herr Geheimrath, wollen Sie auch eine Partie Kegel spielen?”

„Nein, nein, meine Herren, bin doch schon zu alt und steif zu dieser Turnübung, die Partie Whist muss mir das ersetzen. Das ist nun meine Schwäche.”

„Was machen Sie aber, Herr Geheimrath, in Sommertagen, wenn Sie verreisen?”

„Ach, mein liebster Herr v. Arenstein, dafür ist gesorgt. Ich gehe seit 22 Jahren mit Frau und Kind in dasselbe Bad: Ahlbeck auf Usedom. Ist ja jetzt ganz bekanntes Bad; als ich das erstemal da war, anno 80, da war es noch ein liebes, kleines Fischernest. Ein halbes Dutzend primitive Villen, kein Curhaus, keine Eisenbahn, aber ein herrlicher Wald! Da fanden sich ein paar Herren zusammen, ein Arzt, ein Major, ein Kaufmann und ich. Und das geht nun so 22 Jahre und jeden Abend sitzen wir oben im Hotel auf der Düne und machen unser Spielchen.”

„Ah, Ahlbeck! Das liegt ja wohl dicht bei Heringsdorf? Dann werden wir, Schwante und ich, den Vorzug haben, ganz in Ihrer Nähe zu sein. Wir beide wollen unseren Urlaub in Heringsdorf zubringen!”

*           *           *

Seit drei Wochen weilten die beiden Officiere schon an der Ostsee und es war kein Tag vergangen, wo sie und die Familie des Geheimraths sich nicht gesehen hätten. Die Familie Lalmar: das heißt der alte Herr, seine Tochter Lilli und eine entfernte arme Cousine, die man als Dame d'Honneur für Lilli mitgenommen hatte und die sonst bei ihrer Mutter, einer Hauptmannswitwe, in Berlin wohnte. Martha Herloff war ein sehr schönes Mädchen, aber ein ganz anderer Schlag wie Lilli. Ernst und ruhig und ohne jene sprunghaften Uebergänge, welche das Geheimrathstöchterlein liebte. „Sieh'st Du,” hatte am achten Tagen Arenstein zu seinem Freunde gesagt, „die Herloff, das ist die geeignetste Größe, die Du in Deiner Rechnung nöthig hast. Ich habe von einer eleganten Lebedame gesprochen, aber es lässt sich auch so deixeln: der Cousine schneidest Du die Cour, auf „Teufel komm' 'raus”! Und Du wirst sehr bald merken, was für Augen Lillichen machen wird, wenn sie sich als quantité négligeable behandelt sieht.”

Allabendlich, wenn der Geheimrath sein Spielchen machte, trafen sich die vier jungen Leute am Strande. Dann saß man ein Weilchen im Sande, sah dem Spiel der Wellen zu, oder man promenierte oben auf dem breiten und geschützten Dünenwege. Tag auf Tag vergieng und endlich war der letzte Abend herangekommen: Morgen früh mussten die Officiere heim, weil der Urlaub abgelaufen war.

„ DaS ist recht schade,” sagte Lilli Calmar zu Herrn v. Schwante, als man zum letztenmal die gewohnte Promenade machte, „recht sehr schade, dass Sie nun wieder nachhause müssen. Himmel! Wenn ich an Edelberg denke! Dann fasst mich ein Grauen! Dieses langweilige Nest, in dem es nichts gibt, was chic und elegant wäre. Sie glauben gar nicht, Herr v. Schwante, wie ich meine Cousine beneide, die in Berlin leben kann. Gibt es wohl etwas Reizenderes als Berlin? Dieses Leben und Treiben auf den Straßen, die schönen Läden, die neuesten Moden bei Gerson oder Herzog, die Theater, die Bälle! Ach! Und wenn ich nun denke, dass ich nächsten Winter wieder in Edelberg sitzen und Papa die Wirtschaft führen soll — oh, dann könnte ich heulen!” —

Dabei schlug sie mit ihrem Sonnenschirm so heftig gegen eine dünne Fichte, das» der zierliche Griff abbrach und in den Sand rollte. —

An einem bestimmten Punkt machte man Kehrt und die Damen tauschten ihre Cavaliere. Lilli und Arenstein schritten nun voran, Martha und Schwante folgten. Arenstein verstand es schnell, die üble Laune des Fräulein v. Calmar zu verscheuchen: Er erzählte die neuesten Witze mit so drolligem Tonfall, dass Lilli in schmetterndes Gelächter ausbrach. Viel ruhiger verlief das Gespräch des anderen Paares. Schwante, verletzt von der Ausgelassenheit und plötzlichen Lustigkeit seiner bisherigen Gefährtin blieb weit zurück und bemühte sich, seiner Missstimmung Herr zu werden.

„Schließlich kann ich es Ihrer Cousine nicht verdenken, wenn Sie ungern die See verlässt,” sagte er zu Martha Herloff. „ Wann fahren die Damen?”

„ In etwa acht Tagen! — Ich kann Ihnen jedoch nicht beipflichten! Lilli sollte sich doch freuen, in ihre reizende Häuslichkeit zurückkehren zu können.”

„ Sie vergessen die kleine Stadt, gnädiges Fräulein. Wer, wie Sie, in der Großstadt leben kann mit allen ihren Reizen — —!”

Ein Lächeln überflog einen Augenblick das Antlitz der jungen Dame.

„ Die Großstadt — ja — wenn man reich ist —! Aber selbst dann nicht!”

„Und weshalb nicht?”

„ Weil sie das Beste tödtet, was wir Menschen doch eigentlich unser Eigen nennen!”

„Und was wäre das, gnädiges Fräulein?”

„Das Naturgefühl, Herr v. Schwante! Das heißt die Liebe für Einfachheit, das freudige Bescheiden mit der Position, in die uns das Geschick nun einmal gestellt hat. Und infolgedessen auch das Pflichtgefühl, die Moral. Der Charakter gedeiht besser auf dem Lande. — Und damit wollen wir von diesem philosophischen Thema abkommen. Sehen Sie, der Leuchtthurm v. Swinemünde brennt schon, und dort oben auf der See fährt noch ein großer Dampfer. Wo der wohl herkommen mag? Aus Schweden — oder gar aus Amerika?”

*           *           *

„Nun will ich Ihnen was beichten, Arenstein,” sagte Schwante, als die Herren am nächsten Tage, in einem Coupée allein, ihrer Heimatsgarnison entgegenfuhren, „die Strategie und Taktik, die wir anstrebten, ist ziemlich missglückt. Ich habe Lilli nicht eifersüchtig gemacht, bin aber trotzdem keineswegs unzufrieden. Im Gegentheil. Und ganz entre nous: Lilli passt nicht für mich!”

Arenstein strich den Schnurrbart und machte ein verlegenes Gesicht. „ Ihre Erklärung trifft zu und — nun muss ich etwas beichten — macht mich riesig glücklich. Offen raus: Ich habe mich sterblich in die kleine Calmar verliebt!”

„ Na ja, da haben wir's,” lachte Schwante. „Fährt mit mir in die Welt, um mir zu einer Frau zu verhelfen und schnappt sie mir vor der Nase weg. Ich gratuliere, lieber Arenstein. Ihr beide passt wirklich zusammen, das habe ich gestern abend» deutlich gemerkt.”

„Hören Sie mal, Schwante, Sie nehmen es mir doch nicht übel —? Schließlich kann ich doch nichts dafür, dass der kleine Liebesgott — —!”

„Gott bewahre — ich freue mich darüber. Lilli und ich wären todtunglücklich geworden!”

„Armer Kerl! Sie thun mir leid, dass Sie nun so ohne Hoffnungen heimkommen!”

„Ohne Hoffnungen! Wer sagt Ihnen das, Arenstein? Ich habe sehr große Hoffnungen und ich preise den Tag, der uns an diesen Strand führte. Ich habe hier mein Lebensglück gefunden! Anders freilich, als ich dachte, aber dennoch — gefunden!”

Wortlos reichte Arenstein dem Kameraden die Hand, und er schüttelte sie kräftig.

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